Warburg in Kreuzlingen

Am 21. April hielt der zu dieser Zeit in einer schweren seelischen Krise steckende Kunsthistoriker Aby Warburg seinen legendären Vortrag über das Schlangentanz-Ritual der Pueblo-Indianer in Prof. Ludwig Binswangers Sanatorium "Bellevue" in Kreuzlingen.

"Ich will, daß auch nicht der leiseste Zug blasphemischer Wissenschaftlerei in dieser vergleichenden Suche nach dem ewig gleichen Indianertum in der hilflosen menschlichen Seele gefunden wird. Die Bilder und Worte sollen für die Nachkommenden eine Hilfe sein bei dem Versuch der Selbstbesinnung zur Abwehr der Tragik der Gespanntheit zwischen triebhafter Magie und auseinandersetzender Logik. Die Konfession eines (unheilbar) Schizoiden, den Seelenärzten ins Archiv gegeben."

Aby Warburg, Notiz 7 zum Kreuzlinger Vortrag

Seitdem Aby Warburg, vor allem dank der unermüdlichen publizistischen Arbeit des langjährigen Direktors des Londoner Warburg-Instituts, Ernst Gombrich, und seit den siebziger Jahren auch des Leiters des Hamburger Warburg-Archivs, Martin Warnke, innerhalb der kunsthistorischen Disziplin kanonisch geworden ist, wachsen die akademischen Erklärungsversuche von Warburgs kaum systematisierbarer "Methodologie" beständig an. Doch noch immer ist es so, als rebelliere die passionierte Kunsterfahrung dieses Häretikers, deren wesentliche Merkmale die Erfahrung einer unauflösbaren Vielschichtigkeit des Kunstwerks und zugleich seiner außerordentlichen und unersetzlichen Rolle sind, fortwährend gegen die zu engen Mauern eines akademischen Fachs. Die vielfältigsten Einflüsse von Anthropologie, Psychologie, Soziologie oder Ethnologie sowie nicht zuletzt jener universelle Kulturbegriff Jakob Burckharts in Verbindung mit einer tragischen Neuerfahrung der von Nietzsche erörterten concordia discors des Apollinischen und Dionysischen in der Kunst — diese Erbschaften und "Verwicklungen" im Werk Warburgs scheinen sich einer überschaubaren und operationalen Theorie bis heute erfolgreich zu widersetzen.

Was schon für Warburgs Werk gilt, muß naturgemäß erst recht für jenen Vortrag gelten, den der aus dem seelischen Gleichgewicht geratene Forscher während seines fast sechsjährigen Aufenthalts im Sanatorium von Ludwig Binswanger im April 1923 vor versammelten Ärzten und Patienten in Kreuzlingen hielt. "Was genau" den damals 53jährigen Kunsthistoriker — der, wie sein Bruder berichtet hat, schon als Dreizehnjähriger sein Erstgeborenenrecht auf die Nachfolge im renommierten Hamburger Privatbankhaus Warburg seinem Bruder Max gegen die Zusicherung abtrat, daß dieser im Gegenzug zeitlebens seine Bücher- und Studienwünsche finanzierte (worauf man sich später auch tatsächlich verständigte) — 1919 in eine akute seelische Krise stürzte, kann allenfalls Gegenstand von Spekulationen sein. Es ist wohl so, daß das Tragische menschlichen Daseins in seiner ganzen Abgründigkeit nur von einem selbst tragischen Charakter in statu nascendi erfahren werden kann: "Warum" Nietzsche beim Anblick eines altersschwachen, geschundenen Droschkengauls in Turin auf offener Straße in Tränen ausbrach und einen Brief an seinen Freund Jakob Burckardt mit "der gekreuzigte Dionysos" unterschrieb, "warum" sich Hölderlin während seines Heimmarschs von Bordeaux nach Tübingen "von Apoll geschlagen" wähnte und im Empfinden seiner Nächsten verwandelt zurückkehrte (und in den letzten Jahren seiner 35jährigen Turmzeit bei Schreinermeister Zimmer mit "Scardanelli" signierte) oder "warum" Warburg plötzlich sich und seine Familie als Opfer einer "Verschwörung" sah — dies sind letztlich die neugierigen Fragen von "Zaungästen".

Warburgs inneres Inferno ereignete sich mit dem Ende des großen Infernos des Ersten Weltkriegs, ganz ähnlich wie knapp dreißig Jahre später, nach dem noch größeren Inferno des Zweiten Weltkriegs, als sich Martin Heidegger für kurze Zeit dem Sanatorium von Gebsattels, einem Vertrauten Binswangers, anvertraute. Man fiele weit hinter das Kranken- und Therapieverständnis Ludwig Binswangers zurück, wenn wir in diesem Zusammenhang nach längst überholten "naturwissenschaftlichen" Definitionen von Seelenerkrankungen fragten, anstatt die Aufmerksamkeit auf jenen profunden, aller Gefährdung trotzenden Grundton im Selbstbekenntnis eines "unheilbar Schizoiden" zu richten, wie er in der o. g. Notiz Warburgs zum Ausdruck kommt. Denn "schizoid" (das heißt: unlösbar widersprüchlich) ist für Warburg, gerade das hat ihn seine Kunsterfahrung gelehrt, der Mensch als solcher von Natur her. Warburg teilt in dieser Notiz kein subjektives Befinden mit, sondern die provokante Note zielt auf die Vermittlung einer umfassend gültigen Erfahrung, die ein Genesender hier auch "den Seelenärzten" ins Lehrbuch schreiben möchte.

Manches spricht dafür, daß man dies in Binswangers "Bellevue" eher verstanden hat als bis heute in kunsthistorischen Seminaren. War es doch eine Heilstätte, sagenumwittert wie Thomas Manns "Zauberberg", die schon zu Warburgs Anwesenheit, wenngleich zu falschen Romantisierungen zwischen Patient und Arzt kein Anlaß besteht, von einer Atmosphäre des gegenseitigen Nehmens und Gebens zwischen Ärzten und erkrankten Gästen geprägt war. Man speiste nicht nur gemeinsam, sondern darf auch von einem regen Erfahrungsaustausch zwischen Binswanger und seinen angeschlagenen Gelehrten und Künstlern in geistigen Fragen ausgehen. Ludwig Binswanger hatte als Assistent C. G. Jungs und Vertrauter Freuds ohne Zweifel seit jeher eine besondere Affinität zur Erfahrungswelt der Kunst, Religion und Philosophie. Die gegenüber Freuds "naturwissenschaftlich" ausgeformter Psychoanalyse geradezu platonisch unterbaute Archetypen-Lehre C. G. Jungs war Warburg, der sich, zeitbedingt, schon früher lebhaft für psychologische Fragestellungen interessiert hatte, natürlich vertraut. Und Binswanger seinerseits zählte seit jeher nicht nur namhafte Künstler zu seinen Patienten (wie etwa Leonhard Frank, den Tänzer Nijinski oder Ernst Ludwig Kirchner), er entwickelte sein ärztliches Behandlungskonzept auch unter dem Einfluß der Phänomenologie Husserls und später vor allem der Daseinsphilosophie Martin Heideggers gezielt zu einer "daseinsanalytischen" Therapieform fort. Diese kritische philosophische Selbstvergewisserung kam, im Vergleich zur traditionellen Psychoanalyse Freuds, sowohl einer "Entmystifizierung" des Analytiker-Patienten-Verhältnisses entgegen (sie wertete die aktive Rolle des Erkrankten, aber zugleich, neben den "Inhalten", auch die Verlaufsgestalten krisishafter Daseinswege auf), wie gewiß auch einer wachsenden Berücksichtigung "ausgleichender" künstlerischer Arbeit als Krisenbewältigung.

Mag jene Schlüssellochperspektive auf berühmte seelenkranke Patienten die "romantische" Phantasie (und erst recht die Bürgerängste) auch immer wieder beschäftigen und beflügeln, mögen diese "berühmten Fälle" dem traditionellen Selbstverständnis des klassischen Psychoanalytikers auch trügerisch schmeicheln (Mythos, Kunst und Genie als bloße Objekte der "Analyse des Unbewußten") — aufschlußreicher ist in unserem Fall doch der Blick auf den umgekehrten Wirkungsweg: wie eine gewagte und tragisch-gefährdete Erfahrung des Daseins und deren Niederschläge in Kunst, Dichtung und Philosophie ihrerseits allererst das Verständnis dessen fördern, was die Psychologie mitunter so selbstgewiß "Seele" nennt. Daß Wahrheit und "Wahnsinn", den die Griechen noch mit respektvoller religiöser Scheu manía nannten, eng beieinander liegen können, war einem Sokrates noch selbstverständlich, erst in der bürgerlichen Moderne wird es zu einem Gegenstand der "Wissenschaft" respektive der curiositas. Ohnehin könnte man in Hinblick auf Warburgs Krise nach dem Ersten Weltkrieg mit Martin Warnke fragen, ob das Anormale zu dieser Zeit nicht überhaupt eher bei jenen zu suchen sei, die "die Gewalteinbrüche dieses Jahrhunderts angstfrei überlebt" haben.

Es eint so unverwechselbare Geister wie Hölderlin, Nietzsche, Heidegger oder Warburg zumindest die Gemeinsamkeit, daß sie die Zwiedeutigkeit der menschlichen Existenz eben nicht nur reflektiert, sondern ad fundus erfahren, selbst durchlebt — und dieser Erfahrung in ihrem Werk allererst Ausdruck verliehen haben. Für Warburg zumindest ist dies sogar die eigentliche Aufgabe der Kunst: sie schafft paradigmatische Gestalten eben dieser Erfahrung, sie ist eine symbolische Verleiblichung unvermittelter Daseinserfahrung, ihre (hegelianisch gesprochen) Vergegenständlichung in unersetzliche Vermittlungsgestalten. Diese symbolischen Formen sind für Warburg von den Praktiken "phobischer Magie" ebenso weit entfernt, wie von jener modernen abstrakten Welt-Distanzierung mittels Wissenschaft und Logik (die sich am Ende ebenfalls als eine aus Furcht vor der Natur gespeiste technisch-rabiate und wenig rücksichtsvolle Form der Magie erweisen könnte). Es ist für Warburg — diese Erfahrung geht ihm schon früh bei seinen Studien zur Florentiner Renaissance auf — der Kunstakt, der diese für den Menschen letztlich unverzichtbare Vermittlung von Natur und Geist, Leidenschaft und Logos, Dionysos und Apoll zu leisten vermag. In der Kunst tradiert sich das eigentliche soziale oder Gattungsgedächtnis der Menschheit. Während die wissenschaftlichen Erkenntnisse einander ablösen und fortlaufend ersetzen, das jeweils Neue das Veraltete und Überholte widerlegt, entsteht im symbolischen Kunstwerk die bleibende zwiespältige Natur des Menschen jeweils ganz unmittelbar neu und in Gänze.

Auch in Warburgs späterem Mnemosyne-Projekt, jenem "Atlas der Bildwanderungen", mit dessen Hilfe er die Kunst als genuines Erinnerungs-Organ der Menschheit "aufzufangen" und zu veranschaulichen suchte, ging es ihm folgerichtig nicht um akademische Kunstgeschichtsschreibung, Chronologisierung, Ordnung und Kanonisierung, sondern um den Aufweis bestimmter unverwüstlicher symbolischer Formen als einem unmittelbaren Beitrag zur Daseinsbewältigung. Ihm erschienen, wie Erwin Panofsky in seinem Nachruf auf Warburg 1929 ausführte, die künstlerischen Gestalten als "eine Geschichte der menschlichen Leidenschaften", die in einer "von der Zivilisation nur scheinbar überdeckten Daseinsschicht beständig gleichbleiben, und die der formverleihende Geist — gerade deswegen — in immer neuen Kulturgebilden zugleich offenbaren und bändigen" müsse. Dies kommentiert Werner Hofmann: "Für Warburg ist das Kunstwerk nicht ein Gegenstand interesselosen Wohlgefallens, sondern das Erzeugnis unserer ewigen Ängste und Phobien. Durch sein Werk schützt der Künstler sich vor dem Angriff der Kräfte, die er herausgefordert hat. Der formgebende Akt ist ein apotropäischer Akt." Aus Warburgs Perspektive nimmt dabei die griechische Kunst deshalb einen so unvergleichbaren und prototypischen Rang in der abendländischen Kunstgeschichte ein, weil sie gleichsam die Archen, die Paradigmen dieser gebändigten Urkräfte geprägt hat. Gerade die Griechen haben in seinen Augen die Ur-Leidenschaften ganz unerschrocken herausgefordert und völlig entfesselt, aber doch zugleich auch in einzigartigen Gestalten gefesselt — und damit jene paradeigmata der Vermittlung tellurischer und solarer Kräfte, jene "Ausgleichserzeugnisse", wie Warburg formuliert, hervorgebracht, wie sie seither im "sozialen Gedächtnis" fortleben beziehungsweise immer wieder Auferstehungen erleben.

Kunst bewirkt, wie Warburg dann nach seiner Rückkehr aus Kreuzlingen schreibt, einen "Rhythmus vom Einschwingen in die Materie und dem Ausschwingen zur Sophrosyne", einen Rhythmus von "einschwingender Phantasie und ausschwingender Vernunft". Kunst als symbolische Form ist gleichsam eine ins vergeistigte Werk verleiblichte magisch-religiöse Praxis. Es wäre indes ein Irrtum, diesen "Vermittlungs"-Begriff allzu sehr auf Hegel oder Ernst Cassirer, also auf einen vergleichsweise gefahrlosen "abstrakten Denkraum" zu beziehen — diese dynamische Vermittlung von Pathos und Logos drückt für Warburg ein durchaus tragisches Geschehen aus. Tatsächlich betrachtet man bis heute Warburgs Denken häufig allzu verkürzt durch Cassirers neukantianische "Philosophie der symbolischen Formen". Warburg war jedoch schon in Kreuzlingen, als sein Mitarbeiter Fritz Saxl im Auftrag der Brüder Warburgs die zuvor private Bibliothek zu einer — schon sehr bald sehr renommierten — öffentlichen Forschungseinrichtung umgestaltete, die fortan Gelehrte wie Karl Reinhardt, Erwin Panofsky und u. a. auch Ernst Cassirer anzog (die im Hausverlag dieses Instituts ihre ersten bahnbrechenden Bücher publizierten). Cassirers Kontakt zu Warburg war also eher ein indirekter, auch bedurfte der Gelehrte inmitten seines "Purgatorios" kaum jüngerer Lehrer.

Anders als der protestantische Hegel, für den das Moment des Sinnlichen per se ein defizienter Modus gegenüber dem Geistigen war, bleibt der, trotz gewisser reformatorischer Anwandlungen, von christlich-logozentrischen Korsagen weitestgehend unberührte Warburg ganz griechischer Augenmensch, sozusagen ikonophiler Byzantiner, wenngleich mit ausgeprägtem florentinischem Feinsinn. Und anders als Cassirer, der Hegels Modell der "Höherentwicklung vom Mythos zum Logos" im Grunde ungebrochen adaptierte, um die kantische "apriorische Anschauungsformen" auch noch in Hinblick auf den Mythos (den man doch gerade als die Vermittlung von Pathos und Logos par excellence betrachten kann) "zu retten" und zu einem universellen Erklärungsmodell auszubauen, blieb Warburg von solchen "logizistischen" Versuchungen der Systembildung zeitlebens verschont: Für ihn ist, das mußte nicht erst der Weg durch sein Inferno und Kreuzlinger Purgatorio belegen, der dynamische und existentielle Kampf zwischen Pathos und Logos grundsätzlich niemals aufzulösen. Im Gegenteil, er trägt sich in der symbolbildenden Kunst bis auf den heutigen Tag unmittelbar und fruchtbar aus, und zwar auf eine Weise, die am Ende jedem logizistischen System verschlossen bleiben muß, geschweige denn, dem logizistischen Denken selbst je möglich wäre.

Es gehört zu den eher bedauernswerten Erscheinungen der Warburg-Forschung, daß, meist unter Berufung auf Cassirer, jenes optimistisch-vergeßliche Modell der "Höherentwicklung vom primitiven Mythos zum wissenschaftlichen Logos" durch die Hintertür allzu unbesehen auch Warburg unterschoben wird. Gewiß empfing der junge Warburg die vielfältigsten Eindrücke seiner Zeit — angefangen bei jenem (anthropo-)logischen Blick auf die antike Religionsgeschichte, wie sie Hermann Usener lehrte, über mehr oder weniger stark naturwissenschaftlich oder damals auch "völkerpsychologisch" geprägte evolutionsheoretische Fragestellungen (Darwin, Haeckel, Vignoli), bis hin zu Erwin Rohdes "Psyche", die am akademischen Firmament mächtig aufsteigende Psychologie überhaupt, und freilich auch jene kulturhistorische Betrachtungsweise eines Jakob Burckardt, der sich Warburg selbst seit jeher besonders nahe fühlte. In dieser zeittypischen, aus heutiger Sicht nicht unproblematischen, Verbindung psychologischer, ethnologischer, naturwissenschaftlicher und evolutionshistorischer Methoden und Fragestellungen, wie sie in gewisser Hinsicht zumindest die äußere Form von Warburgs Darstellungen zeitlebens kontaminieren, liegt bis heute eine besondere hermeneutische Herausforderung seiner Schriften.

Gleichwohl klingt schon in Warburgs Dissertation über Botticellis Primavera (1893 gedruckt) jenes Grundmotiv an, das fortan im Hintergrund unüberhörbar bleibt: jene in Nietzsches "Geburt der Tragödie" aufgespannte widersprüchliche Einheit von Apollinischem und Dionysischem in der Kunst. Es ist ein Thema, das Warburg fortan fesselt und nicht mehr loslassen soll: Die symbolische Kunst entspringt der religiösen Erfahrung des tragischen und unlösbaren Zwiespalts zwischen menschlicher Vernunft und seinen ungestüm wogenden Leidenschaften. Dieser anstrengende Spagat zwischen Besonnenheit und unterirdischen Eruptionen wird für Warburg, in vielerlei sprachlichen Umkleidungen, zu einer Metapher der existentiellen Gespaltenheit des — um mit Warburgs eingangs zitierter Notiz zum Kreuzlinger Vortrag zu sprechen — "unheilbar Schizoiden" des menschlichen Daseins. Es wäre, sowohl gegenüber Nietzsche wie auch gegenüber Warburg, ein großes (wenngleich verbreitetes) Mißverständnis, in diesem dynamischen Wechselspiel lediglich eine Variante jener vielen Begriffs-Dichotomien (Natur "oder" Kultur, Geist "oder" Materie, Aufstieg "oder" Abstieg, Apoll "oder" Dionysos), also bloß ein abstraktes Modell in den gefahrlosen Umgrenzungen eines geordneten Logos zu vermuten. Diese unlösbare Dynamik ist vielmehr — darin besteht gerade die tragische Erfahrung Nietzsches und, wie ich meine, zunehmend auch jene Warburgs — die unheilbare Wahrheit der menschlichen Existenz. Was einer positiven Wissenschaft nur als ein Entweder-Oder denkbar ist, was sie mit Mitteln technischer Magie an realen Widersprüchen aus der Welt zu schaffen zumindest vorgibt, daran müht sich der verzweifelte Künstler im Werk tatsächlich ab, das vermag symbolbildende Kunst im gelungenen Werk sogar tatsächlich zu einer dynamischen Einheit zu führen — und gerade in diesen künstlerischen symbolischen Formen, Vermittlungsgestalten und "Ausgleichserzeugnissen" erblickt Warburg eine einzigartige und unersetzliche Potenz und Leistung.

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